Schuldenpolitik im Blindflug und soziale Spaltung

Schuldenpolitik im Blindflug und soziale Spaltung

Die Koalitionsverhandlungen, der Koalitionsvertrag und der anschließende Koalitionsstreit beweisen: Union und FDP sind auf alles vorbereitet, nur nicht darauf, gemeinsam zu regieren. Das Urteil der Wirtschaftspresse zum Fehlstart von Schwarz-Gelb könnte vernichtender nicht sein: „Blanker Dilettantismus“, „Klientel statt Klarheit“, „Finanzpolitischer Blindflug“. Acht Kommissionen und mindestens 15 Prüfaufträge enthält der Koalitionsvertrag. Kaum ist die Tinte unter diesem Dokument der Verunsicherung getrocknet, müssen in Schloss Meseberg die ersten Nachverhandlungen stattfinden. Schwarzgelb erfindet die „ewigen Koalitionsverhandlungen“. So viel Zeit geben wir ihnen nicht. Jetzt ist es an der Zeit, der Verschleierungstaktik ein Ende zu machen.

Das Zukunftsverhinderungsgesetz

Die erste Maßnahme der Koalition ist das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“. Orwell hätte seine Freude gehabt an dieser Vernebelungssprache. In Wirklichkeit ist es ein Zukunftsverhinderungs- und Klientelbefriedigungsgesetz. Für die konkret angekündigten Maßnahmen von Schwarz-Gelb muss allein der Bund 3,9 Milliarden Euro Zinsen mehr bis 2013 zahlen. Die Ausfälle von Ländern und Kommunen kommen hinzu. Dieses Geld fehlt für Zukunftsinvestitionen. Schwarz-Gelb will Steuersenkungen auf Pump. So entsteht kein Wachstum. Das ist keine Konjunktur-, sondern Klientelpolitik.

Täuschungsversuch Schattenhaushalt

Schuldenmachen für Steuersenkungen sollte in einem Schattenhaushalt versteckt werden, obendrein noch mit dem Etikettenschwindel „Defizitausgleich für Sozialversicherungen“. Nach einer Welle der Empörung ruderten Union und FDP zurück – scheinbar. Denn noch immer steht der Schattenhaushalt als zu prüfendes „Sondervermögen“ im Vertrag.

Neue Mauern und soziale Gräben

Angela Merkel hat in ihrer Rede vor dem amerikanischen Kongress mit Blick auf 20 Jahre 1989 davon gesprochen, es sei unsere Aufgabe, Mauern eines „kurzsichtigen Eigeninteresses“ niederzureißen. Wieder zu Hause, steht sie für eine Koalition der sozialen Spaltung, die neue Mauern in der Gesellschaft errichtet und neue Gräben aufreißt.

Spaltung zwischen den Generationen

Steuersenkungen auf Pump finanzieren sich nicht selbst. Das hat weder bei Ronald Reagan noch bei Theo Waigel funktioniert. Stattdessen wird das strukturelle Defizit vergrößert. Es werden tiefe Löcher in die Haushalte von Ländern und Kommunen gerissen. Union und FDP werden dort sparen müssen, wo es um die Lebenschancen unserer Kinder geht. Sie zahlen die Zeche.

Spaltung zwischen Kindern mit und Kindern ohne Chancen

Diese Finanzpolitik heißt im Klartext: höhere Kita-Beiträge, weniger Geld für neue Ganztagsschulen und Betreuungseinrichtungen, weniger Geld für Erzieherinnen und Erzieher, weniger Jugendsozialarbeit. Union und FDP erhöhen das Kindergeld um 20 Euro. Das können viele Familien gut gebrauchen. Aber noch wichtiger ist der Ausbau der Betreuungsplätze. Das hilft Alleinerziehenden, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Das gibt Kindern Chancen, die es von Haus aus schwerer haben. Die Einführung eines Betreuungsgeldes hingegen ist eine fatale Fehlentscheidung. Besonders Kinder aus Einwandererfamilien und bildungsfernen Schichten brauchen keine Prämie fürs Zuhausebleiben, sondern konkrete Hilfe, Sprachtrainer, Förderlehrer, intensive Betreuung. Politik heißt, Prioritäten zu setzen. Und die Prioritäten von Schwarz-Gelb sind falsch. Schwarz-Gelb setzt auf privates Bildungssparen und Stipendienprogramme. Das geht an denen vorbei, die im Bildungssystem ausgeschlossen sind. Was wir brauchen, ist die Beseitigung der Barrieren: ein starkes BAföG und die Abschaffung der Gebühren von der Kita bis zur Universität.

Spaltung in der Gesundheitspolitik

Bei der Gesundheitspolitik stellen Union und FDP das Solidarprinzip zur Disposition. Arbeitgeberbeiträge sollen eingefroren werden. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer droht die unsoziale Kopfpauschale. Höhere Ärztehonorare, teurere Arzneimittel und neue Behandlungsmethoden schlagen bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu Buche. Für sie wird es teuer. Entsolidarisierung findet auch im Risikoausgleich zwischen den Krankenkassen statt. Gut für Bayern, aber schlecht für Ostdeutschland.

Spaltung zwischen starken und schwachen Regionen

Ein weiteres Vernebelungswort von Schwarz-Gelb ist der Begriff „Regionalisierung“. Regionalisierung bei den Krankenkassen oder regionale Hebesätze bei der Erbschaftsteuer. Worum es in Wahrheit geht, ist die Spaltung des Landes in Regionen, in denen der Lebensstandard steigt, und Regionen, in denen er sinkt. Die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, zum zwanzigsten Jahrestag des Mauerfalls erst wieder feierlich beschworen, wird schleichend aufgegeben. Verschärft wird das durch die Einnahmeausfälle der Städte und Gemeinden, durch die Infragestellung der Gewerbesteuer und die Aussicht einer Mehrwertsteuer für kommunale Betriebe. Die Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth, bekanntlich kein SPD-Mitglied, spricht von einer Demontage der kommunalen Selbstverwaltung. Die Menschen werden es bitter zu spüren bekommen. Weniger Leistungen, aber mehr Gebühren und Abgaben. Schwarz-Gelb bedeutet für die meisten Menschen am Ende nicht mehr, sondern weniger Netto vom Brutto.

Spaltung bei den Löhnen

Schwarz-Gelb gibt das Grundprinzip unserer Arbeitsgesellschaft auf. Auf den Wahlplakaten stand: „Arbeit muss sich lohnen“. Das genaue Gegenteil wird jetzt für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zur Realität. Bestehende Mindestlöhne werden überprüft, neue Mindestlöhne blockiert. Das angekündigte Verbot sittenwidriger Löhne bedeutet im Klartext, dass Stundenlöhne von 4 Euro akzeptiert werden. Das bringt viele Menschen in die entwürdigende Situation, dass sie den ganzen Tag arbeiten und trotzdem von staatlichen Leistungen abhängig sind. Dagegen werden wir eine kämpferische Opposition organisieren. Schwarz-Gelb heißt Steuersenkungen auf Pump, Schuldenpolitik im Blindflug, Schwächung der Schwachen, Stärkung der Starken, Perspektivlosigkeit ganzer Regionen, Ausbluten der Kommunen. Diese Regierung handelt nach derselben Methode, mit der verantwortungslose Banker die Wirtschaft in den Abgrund gerissen haben: Mit purer Spekulation, mit reinen Luftbuchungen und haltloser Kreditaufnahme. Mit einem Unterschied: Den Banken konnte der Staat mit einem Schutzschirm zu Hilfe kommen. Diese Regierung aber vertritt den Staat.

Keine Visionen, kein Aufbruch

Deutschland braucht einen Aufbruch, den die Regierung Merkel verweigert. Hin zu einer moderneren, sozialen und ökologischen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die allen Menschen Chancen eröffnet. Einer Gesellschaft, die ihre Kraft aus der Solidarität bezieht. In der Bildung kein Luxusgut ist. Die alle Menschen, egal woher sie stammen, willkommen heißt. An dieser Vision werden wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten weiter arbeiten.