Parlamentarisches Profil – heute mit mir!
Die Zeitung “Das Parlament”, herausgegeben vom Deutschen Bundestag, berichtet in jeder Ausgabe über eine/n Abgeordnete/n in der Rubrik Parlamentarisches Profil.
In der aktuellen Ausgabe können Sie den Artikel von Jan Rübel über mich lesen:
Hamburger Deern: Aydan Özoguz
(aus: Das Parlament, Nr. 19, 10.05.2010, Seite 2)
Was für ein gutes Gefühl es ist, endlich am eigenen Schreibtisch im eigenem Büro arbeiten zu können, erlebte Aydan Özoguz erst richtig, als sie zweieinhalb Monate nach ihrer Wahl in den Bundestag endlich ihren Büroschlüssel in der Hand hielt. Vorher wuselte ihre Mitarbeiterin zwischen Kisten und Kartons herum, ein anderer Mitarbeiter arbeitete daheim. Die Bundestagsverwaltung hatte die Hamburger SPD-Bundestagsabgeordnete um Geduld bei der Zuweisung eines Büros gebeten, Fraktionskollege Olaf Scholz überließ ihr daraufhin ein Zimmer. Macht nichts, dachte Özoguz, da lerne ich Reichstagsgebäude und die umliegenden Bundestagsbauten wenigstens besser kennen: Schließlich ist man immer in Bewegung, so ganz ohne Schreibtisch.
Irgendwie ist es, als habe niemand so richtig mit ihrem Einzug ins Parlament gerechnet, am wenigsten vielleicht sie selbst. “Das hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben”, sagt die 43-Jährige und nippt im Restaurant des Jakob-Kaiser-Hauses an einer Apfelschorle, “dass Kandidaten der SPD bei einer Wahl über die Landesliste zum Zuge kamen.”
Früher gewannen die Sozialdemokraten in Hamburg einfach alle sechs Wahlkreise. Doch der Verlust von gleich drei Wahlkreisen bei der Bundestagswahl im September 2009 machte das vorher Undenkbare möglich.
Auch außerhalb des Parlamentsbetriebs fand Özoguz in Berlin lange keine Wohnung. Sie pendelte zwischen der Hanse- und der Hauptstadt, übernachtete in der Landesvertretung Hamburgs in Berlin; erst Anfang Mai kam der Umzug in eine Wohnung in Kreuzberg.
Für den Pressetermin hat Özoguz nur eine halbe Stunde Zeit; als Mitglied der Enquete-Kommission Internet und Digitale Gesellschaft hält sie eine Rede im Bundestag. Richtig in Fahrt kommt Özoguz, die im März zur integrationspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion ernannt worden ist, als das Gespräch ihr Steckenpferd berührt: die Migrationspolitik. “Integrationspolitik ist eine Sackgasse, politisch kann man mit diesem Thema kaum weiterkommen”, sagt sie und resümiert: “Der Diskurs darüber ist schwieriger geworden, verhärteter. Die nötigen Auseinandersetzungen zum Beispiel mit Muslimen geraten immer mehr zum steten Anprangern.” Als Bundestagsabgeordnete wolle sie noch mehr das Gespräch besonders mit den religiösen Verbänden suchen: “Kritisch natürlich, aber wir brauchen mehr Austausch”, sagt die in der Hamburger Finkenau geborene Tochter türkischer Kaufleute.
Seit Jahren ist sie in der Migrationspolitik aktiv: zuerst als Vorsitzende der Türkischen Studentenvereinigung Hamburg, dann als Mitarbeiterin der Körber-Stiftung. 2001 zog sie in die Hamburgische Bürgerschaft ein; Olaf Scholz hatte sie gefragt. Dort lernte sie ihren Ehemann kennen, Michael Neumann, heute SPD-Fraktionschef in der Bürgerschaft. Über seine Standpunkte kann sie sich schon mal ärgern: In einem Doppelinterview mit der “tageszeitung” etikettierte sie seinen Befund, “Multikulti” sei gescheitert, als platt. “Dieses Ihr-Wir-Denken ist in Deutschland extremer als in anderen Ländern wie England oder Frankreich”, klagt Özoguz. “Zur Freiheit gehört auch, ein Kopftuch zu tragen”, argumentiert sie: “Wir sollten eher überzeugen als uns in Verbote zu flüchten. Aber wenn ich das sage, klatscht niemand.”
Resigniert sie zuweilen? Will sie sich weiter den Tort antun, der deutschen Mehrheitsgesellschaft den Unterschied zwischen tradiertem Verhalten und Religion zu erklären? Özoguz lächelt. “Zwar ist der Diskurs zäh, aber er ist notwendig – und es tut sich auch was. Viele Selbstverständlichkeiten gibt es mittlerweile im Umgang mit ethnischen Minderheiten”, bilanziert sie.
Die SPD hatte sie mit offenen Armen empfangen. Platz zwei auf der Landesliste erkämpfte sich Özoguz, die keine Ochsentour über Orts- und Kreisverband hinter sich hatte, gegen eine Parteiveteranin: Die Delegierten spürten frischen Wind. “Ich bin eine Hamburger Deern”, sagt sie und springt auf. Ein Detail für ihre Rede muss noch überprüft werden. Sie macht sich auf den Weg zu ihrem Büro – mit Tisch.
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