Ein Jahr nach Aufdeckung der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“

Ein Jahr nach Aufdeckung der Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“

Im NSU-Ausschuss: Meine SPD-Fraktionskollegen Sönke Rix und Iris Gliecke (rechts) mit mir im Ausschusssaal

Vor einem Jahr blickte das ganze Land fassungslos auf eine der schlimmsten Mordserien der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte: Drei untergetauchte Neonazis ermorden über einen Zeitraum von zwölf Jahren im gesamten Bundesgebiet zehn Menschen – darunter neun mit Migrationshintergrund -, verüben zwei Bombenanschläge in Köln und rauben mindestens 14 Banken aus. Ein Jahr danach gibt es leider immer noch mehr Fragen als Antworten. Warum konnte das alles jahrelang vollkommen unbehelligt von Polizei- und Sicherheitsbehörden geschehen? Warum wurde nach all den akribischen – aber über Jahre hinweg vergeblichen – Versuchen, eine Verbindung der Mordopfer zum organsierten Verbrechen herzustellen, nicht auch konsequenter in Richtung des augenscheinlich naheliegenden Motivs des Fremdenhasses ermittelt?

Der heutige Tag ist ein Anlass für Politik und Gesellschaft noch einmal der Trauer und dem Mitgefühl mit den Angehörigen Ausdruck zu verleihen. Direkt nach den Anschlägen hat die Bundesregierung schonungslose Aufklärung versprochen, um verlorengegangenes Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitsbehörden wieder zurück zu gewinnen. Aber genau dies ist nach nun knapp zehn Monaten Arbeit im Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zu den NSU-Verbrechen nicht passiert.

***An dieser Stelle ein Terminhinweis: Wenn Sie mit mir über die Ausschussarbeit diskutieren wollen oder Fragen zur Aufklärung der NSU-Mordserie haben, können Sie gerne zum Oldenfelder Frühshoppen am Sonntag, 11. November, 10:30 Uhr (im Clubhaus des SC Condor, Berner Heerweg 188, 22159 Hamburg) vorbeikommen.***

Als stellvertretendes Ausschussmitglied blieb ich nach unzähligen Stunden der Befragung von Polizeibeamten, Staatsanwälten, Mitarbeitern und Behördenleitung von Bundeskriminalamt und Landes- und Bundesverfassungsschutz, nach dem Studium von tausenden Seiten von Ermittlungsvermerken und Behördenkorrespondenzen an manchem Abend nach der Sitzung doch ratlos und bestürzt zurück. Kuriose Ermittlungsmethoden wie die Befragung eines Mediums, das Verbindung mit den toten Opfern aufnehmen sollte, oder etwa die Einrichtung eines (Schein-)Dönerstandes durch die Polizei haben in der Presse für reichlich Aufsehen gesorgt. Mich persönlich haben andere Dinge betroffener gemacht. Es liegt mir fern, im Nachhinein – im Lichte der nun aufgeklärten Mordfälle – alles besser wissen zu wollen, aber der Auftritt von so manchem Zeugen im Untersuchungsausschuss hat mich wirklich erbost. Mit welcher Ignoranz und Selbstverständlichkeit eklatante Versäumnisse und Pannen schöngeredet wurden, hat mich wirklich schockiert. Kein Wort des Bedauerns, keine Entschuldigung bei den oftmals monatelang unter Tatverdacht stehenden Angehörigen. Nicht verschweigen möchte ich an dieser Stelle aber auch, dass die Befragungen auch die tiefe Betroffenheit und das Mitgefühl einiger Polizeibeamten zu Tage gefördert haben, die sich wohl nie mit ihrem Scheitern in diesem Fall werden abfinden können.

Das Bild, das sich von der Kooperation zwischen den unterschiedlichen Landes- und Bundesbehörden oder den Bundesbehörden untereinander ergibt, ist stellenweise desaströs. Auch die von Bundes- und Landesregierungen versprochene rückhaltlose Aufklärung wurde konterkariert: Im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden noch bis Juli 2012 Akten mit Rechtsextremismusbezug geschreddert, das Bundesverteidigungsministerium und der Militärische Abschirmdienst hatten dem NSU-Untersuchungsausschuss über Monate Informationen zum Wehrdienstleistenden Mundlos vorenthalten. Ebenso verschwieg der Berliner Innensenator Henkel dem Ausschuss gegenüber Informationen über eine V-Person der Berliner Polizei, die angeblich den Aufenthaltsort des Trios gekannt haben soll.

Der Ausschuss wird weitere Zeugen befragen und Vorschläge für Verbesserungen bei der Arbeit der Sicherheitsbehörden vorschlagen. Ein Schritt in die richtige Richtung war die Schaffung eines Gemeinsamen Abwehrzentrums gegen Rechtsextremismus und die Rechtsextremismusverbunddatei. Klar ist aber heute schon, dass noch an vielen weiteren Punkten angesetzt werden muss: Bessere parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste, Reform des Verfassungsschutzes, klarere und verbindliche Vorgaben bei Ermittlungen bei Opfern mit Migrationshintergrund und natürlich stärkere Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden für rechtsextreme Gefahren. Aber auch gegen den Alltagsrassismus in unserer Gesellschaft müssen wir ankämpfen, die Präventionsarbeit stärken und eine bessere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft im Kampf gegen Fremdenhass, Antisemitismus und Rechtsextremismus erreichen. Hier versagt die schwarz-gelbe Bundesregierung seit Jahren: Sie spart bei der politischen Bildungsarbeit und den Programmen gegen Rechtsextremismus, ebenso ist die umstrittene Extremismusklausel ein Schlag ins Gesicht der engagierten Zivilgesellschaft!