Afghanistan – ich habe trotz Bedenken zugestimmt
Heute hat der Deutsche Bundestag die Beteiligung der Bundeswehr am ISAF-Mandat in Afghanistan für weitere 12 Monate verlängert. Hier können Sie die Ausgestaltung des neuen Afghanistan-Mandates im Antrag 17/4402 der Bundesregierung einsehen! Ich habe trotz großer Bedenken dem Antrag zugestimmt, wie auch weite Teile der SPD-Bundestagsfraktion. Um meine Bedenken offen kundzutun, habe ich eine persönliche Erklärung über mein Abstimmungsverhalten nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages abgegeben.
Lesen Sie hier meine Erklärung im Wortlaut:
Erklärung nach § 31 GO von MdB Aydan Özoguz zur Abstimmung über den Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) und folgender Resolutionen, zuletzt Resolution 1943 (2010) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen“ auf Drucksache 17/4402:
„Ich möchte eingangs betonen, dass ich große Zweifel am nachhaltigen Erfolg des gesamten ISAF-Einsatzes in Afghanistan habe. Auch im zehnten Jahr der ISAF-Mission leidet das Land unter bürgerkriegsähnliche Zuständen. Nicht erst im Jahr 2011 ist klar, dass die Befriedung Afghanistans nicht mit militärischen Mitteln zu erreichen ist. Dementgegen unterstütze ich ausdrücklich die Bemühungen der internationalen Gemeinschaft zum zivilen Wiederaufbau des Landes.
Ich war 2001 noch keine Bundestagsabgeordnete und hätte dem Einsatz nicht zugestimmt. Nun gilt es mit der Situation, wie sie sich heute darstellt, besonnen umzugehen. Es ist für mich ein schwerer Schritt, zu entscheiden, ob ich mit meiner Stimme bis zu 5.350 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr für weitere 12 Monate in die für Körper und Psyche höchst belastende und gefährliche Situation in Afghanistan entsende. Es wird auch weiterhin nicht auszuschließen sein, dass neben Soldaten (der ISAF, wie auch der afghanischen Armee) weiterhin viele unschuldige Zivilisten bei den Einsätzen sterben werden.
Wir in der SPD-Bundestagsfraktion haben kritisch das Für und Wider der Mandatsverlängerung diskutiert. Aus dieser Diskussion haben wir der Bundesregierung unsere Vorschläge unterbreitet: Beibehaltung des 2010 verdoppelten Betrages für den zivilen Wiederaufbau über jährlich 430 Millionen Euro, Schwerpunktsetzung auf die Ausbildung von afghanischen Sicherheitskräften, mehr Nachdruck auf eine bessere Regierungsführung in Afghanistan und gegen die Korruption sowie die schrittweise Übergabe der Verantwortung an die afghanischen Institutionen – Provinz für Provinz. Gerade der letztgenannte Punkt begründet für uns die Forderung, den Abzug des deutschen ISAF-Kontingents, beginnend 2011, einzuleiten und die Beendigung des militärischen Engagements im Zeitkorridor zwischen 2013 und 2015 zu vollziehen. Die Verbündeten Kanada und die Niederlande haben ihren Abzug jeweils terminiert.
Diesen Forderungen ist die Bundesregierung in ihrem Antrag weitgehend nachgekommen. Allerdings bin ich sehr unzufrieden darüber, dass die Bundesregierung bei der Abzugsperspektive 2011 eine Konditionierung vorgenommen hat: „Die Bundesregierung ist zuversichtlich, (…) die Präsenz der Bundeswehr ab Ende 2011 reduzieren zu können und wird dabei jeden sicherheitspolitisch vertretbaren Spielraum für eine frühestmögliche Reduzierung nutzen, soweit die Lage dies erlaubt” (Seite 6 in Drs. 17/4402).
Es ist vollkommen klar, dass bei einer erneuten Zustimmung zu einer weiteren Mandatsverlängerung, die voraussichtlich im kommenden Jahr 2012 dem Bundestag zur Abstimmung vorgelegt wird, genau zu prüfen ist, ob die Bundesregierung ihrer Zusage, im Rahmen des sicherheitspolitisch Vertretbaren den Abzug der Bundeswehr noch in diesem Jahr einzuleiten, nachgekommen ist und sich auch weiterhin die zögerlichen Erfolge beim zivilen Aufbau dokumentieren lassen. Bei aller Kritik am Afghanistan-Einsatz ist mir bewusst, dass wir Bundestagsabgeordnete das deutsche Engagement nicht Hals über Kopf beenden können – das wäre unverantwortlich: gegenüber der afghanischen Bevölkerung und gegenüber den deutschen Soldatinnen und Soldaten vor Ort. Weil das neue Mandat keine neuen Kampftruppen vorsieht und weil der Schwerpunkt der Bundeswehr auf der Ausbildung afghanischer Sicherheitskräfte liegt werde ich ein zweites Mal der Mandatsverlängerung zustimmen. Ich erwarte vom Verteidigungsminister hier offen und klar die Abzugsperspektive vor einem weiteren Mandat sehr deutlich zu terminieren.”