Sprache ist der Schlüssel zur Integration

Sprache ist der Schlüssel zur Integration

Sprache ist der Schlüssel zur Integration! Unter diesem Motto tagt die Friedrich-Ebert-Stiftung heute in Berlin. Ich habe heute vormittag ein Grußwort halten dürfen, und referierte über Sprachlernprozesse in der Einwanderungsgesellschaft – ein wichtiger Baustein nachhaltiger Integrationspolitik. Bei der Verfassung des Textes war es mir wichtig, aus meiner eigenen Erfahrung mit dem Thema “Sprachlernen” zu berichten und einen persönlichen Eindruck zu geben.

Auch in der aktuellen Integrationsdebatte würde ich mir wünschen, dass wir einen Moment innehalten und uns fragen, warum ein/e Mitbürger/in mit Migrationshintergrund nicht perfekt unsere Sprache spricht, und wie wir ihr/ihm helfen können, anstatt vorschnell zu urteilen und von mislungener Integration, Parallelgesellschaften oder Integrationsverweigerung zu sprechen.

Hier also mein Grußwort für Sie zum Nachlesen.

Grußwort für die Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung am 29. November 2010

– es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Damen und Herren,

ein Spaziergang durch Berlins Mitte über den Gendarmenmarkt, ein Stück entlang am Konzerthaus und dann vielleicht einen „café“ oder, wenn es kalt ist, eine „bouillon“, und auf dem Rückweg durch „monbijou“ oder in der „charité“ einen kranken Freund besuchen, egal wie man es hält, man muss ein Holzkopf sein, fragt man sich nicht, woher diese ganze Franzö­siererei?

Tragisch, dass Politik und Volk ein lausiges historisches Gedächtnis haben. Andernfalls würde man sich heute viele langwierige Diskussionen um Zuzöglinge, Einwanderer und andere Eindringlinge sparen und einen Moment inne halten, um sich zu erinnern.

Das heutige Deutschland mit seiner Statistik, in der jeder Fünfte einen Migrationshintergrund hat und nicht perfekt Deutsch spricht und innerhalb seiner kulturellen religiösen oder ethnischen Herkunft heiratet, ein Land in dem es Gegenden gibt, wo mancher Griesgram bemängelt, dass nicht die eigene, als bedeutungsvoller empfundene Amtssprache gesprochen wird: Dieses Deutschland hat es schon mal gegeben, schreibt Mely Kiya im vorwärts. Und vergangene Woche war es wiederum Frank Schirrmacher von der FAZ, der daran erinnerte, dass – wie er sagte – der deutscheste aller Könige, Preußenkönig Friedrich der II. eigentlich schlecht deutsch und viel besser französisch sprach.

Gibt es eigentlich ein Thema über das in den letzten Jahren ähnlich viel gesprochen wurde wie über das Thema „Sprache“? Ab und an besorgt Einige der scheinbare „Verfall“ der deutschen Sprache, weitaus mehr Kommentare richten sich an die vielen Migranten, doch – bitteschön – endlich Deutsch zu lernen. Und immer wieder flammt eine Initiative auf, dass die deutsche Sprache im Grundgesetz verankert werden müsse. Gerade nahm der Bundestagspräsident Norbert Lammert am 9. November 2010 eine Petition mit über 46.000 Unterschriften für die Aufnahme der deutschen Sprache in das Grundgesetz entgegen. Eigentlich müsste sich auf dem Gebiet „Sprache“ richtig viel getan haben, wenn man die öffentliche Debattenlage verfolgt – auch wenn die Beiträge bedauerlicherweise mitunter pauschal und ohne die nötige Differenzierung vorgetragen werden. Das Thema Sprache ist – wie man so schön sagt – „in aller Munde“.

Dabei gibt es mindestens genauso viele Fachtagungen, Expertenforen oder auch Anregungen von Wissenschaftler/-innen, beim Thema Integration und Sprache genauer hinzusehen. Vor allem ist es hilfreich, sich bei der deutschen Zuwanderungsgeschichte, die mit der Anwerbung von Gastarbeitern im Jahr 1955 begann, die Entwicklung zu vergegenwärtigen und daraus Schlüsse zu ziehen. Das Ziel sollte sein, Motivation und Begeisterung für eben diese deutsche Sprache zu entfachen und zu stärken.

Sprache entwickelt sich schließlich in der Regel nicht im luftleeren Raum. Es muss ja nicht gleich eine derart deprimierende Geschichte wie bei der Legende um Kaspar Hauser sein, die uns dazu veranlasst, über die Umgebung von Menschen im Zusammenhang mit ihrem Sprachvermögen nachzudenken. Und es muss nicht gleich ein dunkles Verließ sein, das die Extreme von Sprachschwierigkeiten verursacht.

Leider sind es meist einfache Schemata, die uns alle in der Vergangenheit in falsche Richtungen geführt haben. Denken wir nur an die Empfehlung, dass Eltern mit ihren Kindern „einfach nur Deutsch“ sprechen sollen. Das ist wohl eine der unsinnigsten Schlüsse, die aus Untersuchungsergebnissen gezogen werden kann. Wer in diesen Tagen meint, das sei ja auch schon längst überholt, sollte bei politischen Empfehlungen so manch eines Politikers sehr genau hinhören.

Dagegen ist eine – meist spielerische  – Untersuchung über den Sprachstand bei Vier- oder Viereinhalbjährigen doch nur zu begrüßen. Als etwas irreführend empfinde ich es, dass in 14 Bundesländern 17 verschiedene Verfahren angewendet werden. Und dabei auch unterschiedliche Kompetenzen gemessen werden. Wie soll es auf diese Weise jemals vergleichbare Ergebnisse geben? Ähnlich ist die Lage eben dieser Ergebnisse: Während in Bayern 75,7% Sprachförderung brauchen, sind es in Schleswig-Holstein nur 8,8%. Allerdings bezieht sich in Bayern die Messung offensichtlich darauf „Kenntnisse in Deutsch als Zweitsprache (zu) erfassen“. Was ist dort mit allen anderen Kindern ohne Migrationshintergrund? In Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern werden erst gar keine landesweiten Sprachstanderhebungen durchgeführt. Die anderen Bundesländer könnten hier ihre Ergebnisse sehr deutlich hervorheben und aufzeigen, dass es mittlerweile viele Kinder ohne Migrationsgeschichte sind, die eine Sprachförderung brauchen. Von unbrauchbaren Kategorien müssen wir uns also an manchen Stellen schleunigst verabschieden. Und dabei müssen wir wohl in Kauf nehmen, dass Bildung zunächst einmal auch weiterhin Ländersache bleibt.

Hilfreich wäre es in jedem Fall, gezielt darauf zu achten, in welchen Familien noch andere Sprachen gesprochen werden. Weniger mit dem Ziel diese Familien davon abzubringen ihre Sprachen zu sprechen, sondern um das Wissen zu haben, zwischen welchen Sprachen das Kind hin- und herdenkt und spricht. Die wenigen Kinder, die das große Glück haben mit Erzieherinnen oder Lehrerinnen zu arbeiten, die so manche scheinbare Fehler als direkte Übersetzungsleistung erkennen können, sind mit Sicherheit im Vorteil. Aus einem ganz einfachen Grund: Sie werden eher gelobt und anschließend darauf hingewiesen, wie es beispielsweise im Deutschen oder in der Muttersprache anders formuliert werden müsste. In anderen, unzählbaren Fällen passiert das genaue Gegenteil. Die ständige Ermahnung „du machst das falsch“ ist nicht immer angemessen und auch nicht gerade der große Motivationsschub.

Auch die Kategorien Muttersprache und Herkunftssprache eignen sich längst nicht mehr für eine adäquate Beschreibung der Wirklichkeit. Denn Muttersprache dient – auch in der Wissenschaft – häufig der Zuordnung: Die Sprache, die man von Anfang an gelernt hat. Also so etwas wie die Basissprache, von der man in die anderen Sprachen dann übergeht. Das ist aber bei Menschen, die zu Hause eine andere Sprache sprechen als ihre Umgebung – also das klassische Beispiel eines Gewanderten – ein etwas anderer Zustand als bei Nichtgewanderten. Diese Muttersprache ist längst nicht kategorisch diejenige, in der man sich am besten verständigen kann. Wer noch wie ich in der zweiten Generation aufgewachsen ist und auf der Straße selbstverständlich Deutsch lernen konnte, hatte schnell das Verhältnis zwischen der Muttersprache und der „Fremdsprache“ verändert. Gefühlt war Deutsch der Ausgangspunkt und z. B. Türkisch war emotional wichtig, aber auch schwieriger. Daher ist meines Erachtens die Beschreibung im angelsächsischen Raum von der ersten und zweiten Sprache oder der ersten und der Muttersprache viel zutreffender.

Genau um dieses Phänomen herum ranken nun aber viele Hilfsmaßnahmen und zum Teil auch große Hilflosigkeit. Denn während manche Eltern darauf beharren, dass ihre Kinder selbstverständlich Türkisch oder Arabisch als Muttersprache haben und Deutsch die „Fremdsprache“ sei, wäre für die Kinder eine Hilfsmaßnahme, die darauf zielt, die Sprachen besser sortieren zu können und beide als eine große Bereicherung zu empfinden an dieser Stelle vermutlich die beste Hilfe. Stattdessen führen wir seit Jahrzehnten sogar einen Streit darüber, welche Sprache denn nun wichtiger wäre. Und welche Partei denn nun als erste begriffen hätte, dass wir mehr Deutschförderung brauchen. Wer sich aber die Realität an den Schulen genauer angesehen hat, der weiß, dass auch trotz theoretischer Deutschförderung, diese gar nicht immer stattfand. Gerade diese Stunden wurden nicht selten für Ausfallstunden und ähnliches geopfert. Und warum findet Deutschförderung separiert vom restlichen Schulalltag statt? Ist Sprache nicht an jeder Stelle wichtig? Auch wenn ich Erdkunde oder Geschichte lerne? Wie viele Lehrkräfte haben dies als eine Herausforderung tatsächlich wahrgenommen bzw. wahrnehmen können?

Mein größtes Problem beim Deutsch lernen waren die Artikel in der Grammatik – obwohl Deutsch meine beste Sprache war und ist. Meine Eltern haben zu Hause immer und ausschließlich Türkisch gesprochen. Was für ein Gewinn für einen Menschen, diese Selbstverständlichkeit des Spracherwerbs gleich doppelt zu erleben. Warum nur war es so schwer sich darauf einzustellen, dass ich in der Grundschule viele Worte nicht kannte, wie

z. B. Optimismus oder Pessimismus. Ich kann mich erinnern, dass ich mich darüber ärgerte nicht zu wissen, worüber gesprochen wurde. Aber erklären konnte es mir auch keiner. Ebenfalls Stein des Anstoßes war die Aussprache bei manchen Wörtern wie z. B. Lufthansa oder der Hamburger Stadtteil Altona. Meine Eltern und ich betonten diese Worte stets auf der zweiten Silbe, aber die anderen meinten, das sei falsch. Es hat mich viele Jahre gekostet herauszufinden, dass im Türkischen häufiger die zweite Silbe und im Deutschen sehr häufig die erste Silbe betont wird. Und erst als Jungerwachsene wollte ich diese Geschichte meinen Freundinnen erzählen, die es mittlerweile ganz spannend fanden, diese Unterschiede zu hören. Und richtig begeistert war ich, als meine Freundin plötzlich in der Volkshochschule einen Türkischkurs belegte. Warum nur tat sie das? Wozu braucht ein Mensch Türkisch? So hatte ich es ja in Deutschland gelernt. Es gibt Sprachen, die braucht man und andere, die kann man vielleicht, aber eigentlich braucht man sie nicht. Welch ein enges und geradezu armseliges Weltbild, würde ich heute sagen.

Meine Eltern haben – im Gegensatz zu vielen Zugewanderten aus der Türkei – früher in Istanbul Privatschulen besucht. Beide beherrschten neben Türkisch noch eine weitere Sprache, in der sie ausschließlich unterrichtet worden waren. Das kann man sich bei uns in Deutschland ja kaum vorstellen, dass jemand in seiner eigenen Heimat in eine Schule geht, in der hauptsächlich auf Englisch oder Französisch unterrichtet wird – mit verschwindend geringen Ausnahmen. Natürlich hatten sie auch Türkischunterricht. Kein Mensch in der Türkei hätte dieses Modell absonderlich gefunden.

In Deutschland gibt es mittlerweile Schulen, die auch anderen Sprachen hohe Priorität einräumen, wie z. B. bilinguale Grundschulen oder auch – wie in Hamburg – eine Schule mit einem zweiten sprachlichen Schwerpunkt Türkisch. Diese Schule muss sich nun ständig dagegen wehren als „Türkenschule“ tituliert zu werden. Ich wurde von Journalisten auch schon gefragt, ob denn auf dieser Schule auch Deutsch unterrichtet werden würde. Oder ob dort nicht die „Parallelgesellschaft“ von Anfang an zementiert würde. Und das auf einer Privatschule, für die immerhin Geld bezahlt werden muss und die von meist bildungsorientierten Eltern angenommen wird. Mitunter habe ich den Eindruck, dass es eher Teile der Mehrheitsgesellschaft sind, die ihre eigenen Regeln und Vorschriften, aber eben auch Möglichkeiten, gar nicht richtig kennen.

Die früheren Gastarbeiter sind inzwischen alt geworden, viele sind bereits verstorben. Sie haben in diesem Land hart gearbeitet und fast immer zunächst einmal in Sammelbaracken gelebt. Sie konnten so viel Deutsch, wie sie eben brauchten. Sie haben meist den weitaus größeren Teil ihres Lebens in Deutschland verbracht. Heute noch von ihnen Sprachtests zu verlangen empfinde ich als zynisch.

Das heißt nicht, dass ich mich nicht auch mitunter darüber wundere, warum einige Menschen ihr ganzes Leben hier verbringen und kaum Deutsch sprechen können. Es sind auch nicht immer die Armen und Hilflosen, es sind durchaus auch Ehefrauen von Geschäftsleuten, die aber trotzdem mit ihrem Umfeld gut auskommen. Kritisiert und auch diskriminiert werden aber meist nur diejenigen, die wenig Mittel zur Verfügung haben. Und schnell wird dann auch über mögliche Sanktionen spekuliert. Getreu dem Motto: Am besten dort noch etwas wegnehmen, wo eh schon kaum etwas vorhanden ist. Ob sich dadurch unsere Gesellschaft zu mehr Leistung, Motivation und Zusammenhalt entwickeln lässt, sei zumindest an dieser Stelle mit einem großen Fragezeichen versehen.

Aktuelles Beispiel aus der Politik ist das laute Nachdenken der Bundesregierung, die Sanktionen für Abbrüche von Integrationskursen zu verschärfen. Dabei hat die Bundesregierung aber ganz offensichtlich vergessen, im Vorfeld die Gründe für Abbrüche zu untersuchen. Auch die Tatsache, dass die Träger von Integrationskursen diese Problematik gar nicht aufzeigen können und stattdessen z. B. über zu lange Bearbeitungen bei der Gewährung von Integrations- und Sprachkursen klagen, hat die Regierung nicht weiter berücksichtigt. Mehrere tausend Menschen stehen auf den Wartelisten für Sprach- und Integrationskurse. Wer es ernst meint, müsste diese doch so schnell wie möglich abbauen. Dafür steht nun ein ungefährer Zeitplan bis zum Jahr 2015. Aber wer genauer hinsieht muss feststellen, dass die Regierung für die nächsten Jahre bereits eine faktische Absenkung der Mittel für Integrationskurse im Bundeshaushalt 2011 eingeplant hat. Man fragt sich: Welche Bedeutung hat nun der Erwerb der deutschen Sprache wirklich? Wie ernst meint es die Regierungskoalition angesichts der belastbaren Zahlen aus dem aktuellen Haushaltsentwurf?

Sprache ist meines Erachtens sowohl emotional als auch technisch gesehen, eine Kompetenz, die man braucht, um dazuzugehören. Ich kann mich gut erinnern, wie früher einige meiner Freunde Sätze bildeten, die grammatikalisch alles andere als korrekt, dafür aber sehr einprägsam waren. Meist waren es keine höflichen Sätze, sie wurden aber aufgrund ihrer Gewitztheit in unseren „Slang“ aufgenommen. So entstand wieder Nähe – auch zwischen denen, die sich ansonsten etwas distanziert gegenüberstanden. Und es war dadurch auch akzeptiert, dass manche besser Deutsch, manche besser Türkisch und manche besser kreativ sein konnten. So hatte jeder irgendwo seinen Raum. Und die Hürden, sich auch mal helfen zu lassen und dies nicht sofort als Bekanntgabe von Defiziten zu verstehen, wurden beiseite geräumt. Dies wäre auch weiterhin mein Ziel: Sprache und Sprachkompetenz immer als Bereicherung zu sehen und weniger als ein Druckmittel, um Menschen auszugrenzen, zu diskriminieren und vor allem nicht, um ihnen „durch die Blume“ zu sagen, dass sie eigentlich nicht dazugehören.

Und hierfür brauchen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und ihre Forschungsergebnisse. Um zu zeigen, welche Instrumente gut funktionieren und welche nicht. Und warum manches in unserem Land sich ganz anders entwickelt als mitunter angenommen wird. Wünschen würde ich mir einen größeren Schwerpunkt in der qualitativen Forschung. Denn mein Eindruck ist, dass all die Zahlen und Fakten zu viele Besonderheiten nicht berücksichtigen können. Dabei könnten diese erneut die Augen öffnen für das, was sich überall in unserem Land auf unterschiedlichste Weise weiterentwickelt: die deutsche Sprache.

Ich wünsche der Friedrich-Ebert-Stiftung weiterhin das große Engagement und viel Erfolg bei dieser Tagung.

Aydan Özoguz, MdB